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Behutsame Reform der Schuldenbremse nötig?

Im Jahr 2011 wurde die Schuldenbremse in Deutschland neu installiert. Mit der Schuldenbremse werden die Regierung und das Parlament zur Einhaltung von Verschuldungsgrenzen gezwungen. Geregelt ist das im Artikel 115 des Grundgesetzes. In diesem Grundgesetzartikel wird die Grenze der Kreditaufnahme bis auf die zweite Nachkommastelle exakt festgelegt, was für einen Verfassungsartikel als eher ungewöhnlich zu bezeichnen ist. Zitat: »...die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten.« Ausnahmen sind jedoch zugelassen, zum Beispiel im Falle von Naturkatastrophen oder bei außergewöhnlichen Notsituationen. Dazu wird dann ein Mehrheitsbeschluss des Bundestages benötigt.

 

Auch wenn man kein Freund der Verschuldung ist, fragt man sich warum gerade 0,35 Prozent vom nominalen Bruttoinlandsprodukt? Macht alles darunter noch wirtschaftlich Sinn und oberhalb drohen schlechte Szenarien? Die Antwort lautet: Da die Wirtschaftswissenschaften keine exakte Wissenschaft wie zum Beispiel die Physik ist, kann man so eine Grenze nicht objektiv ermitteln. 

 

Dazu eine kleine Geschichte über die goldene Schuldenregel: Der ehemalige Chefvolkswirt und Havard-Professor Kenneth Rogoff und seine Kollegin Carmen Reinhart sahen das im Jahr 2010 anders und veröffentlichten im weltweit beachteten Artikel »Growth in a Time of Debt« ihre goldene Schuldenregel. Demnach sind Staatsschulden nur bis zu einer Schuldenquote von 90 Prozent tragbar, darüber hinaus würde die Wirtschaft unweigerlich schrumpfen. Die goldene Schuldenregel errang viel Ansehen, unter anderem begründete der damalige deutsche Finanzminister die Sparpolitik mit dieser Regel. 

 

Dumm nur, dass sie falsch war. Der Student Thomas Herndon bat damals um die Berechnungsgrundlage für seine wissenschaftliche Arbeit und fand in den Excel-Files einen Formelfehler nach dem anderen. Die goldene Schuldenregel endete im Excel-Gate. Rogoff und Reinhart bestätigten später die Fehler, die goldene Schuldenregel war wissenschaftlich tot, aber in der Politik kam das nicht mehr an.

 

Zurück zur Schuldenbremse: Heute möchten die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Schuldenbremse lockern. Es handelt sich dabei um das Kieler IfW, das Essener RWI, das Berliner DIW, das Münchner Ifo-Institut und das IWH aus Halle. Dazu veröffentlichten Sie ein Gemeinschaftsgutachten mit dem Titel »Eine behutsame Reform der Schuldenbremse«. Sie schlagen darin vor, die Schuldengrenze von 0,35 Prozent auf 0,5 Prozent anzuheben. Das würde dann den EU-Regeln entsprechen. Diese sehen zudem vor, dass bei einer Staatsverschuldung von weniger als 60 Prozent auch 1,0 Prozent erlaubt wäre. Zudem sollen Ausgaben für den Klimaschutz bei der Berechnung stärker berücksichtigt werden. Die Deutsche Bundesbank fordert ebenfalls eine moderate Reform der Schuldenbremse.

 

In der Politik stößt der Vorschlag der Ökonomen ein geteiltes Echo. Das geteilte Echo findet sich bereits in der Regierung und in der Opposition findet man das sowieso nicht gut. Die parteipolitischen Interessen sind eben unterschiedlich. Zudem können sich die parteipolitischen Interessen auch verändern, zum Beispiel beim Wechsel von der Oppositionsbank in die Regierungsverantwortung. Wir werden sehen.

 

Die Wirtschaftsforschungsinstitute betonen dabei, dass es um etwas mehr Flexibilität gehe. Eine komplette Abschaffung lehnen sie ab. Auch die Forderung zur Rückkehr zur alten, von 1969 bis zum Jahr 2009 geltenden Schuldenregel lehnen sie ab. Damals durften Schulden in Höhe der getätigten Investitionen aufgenommen werden. Das führte damals nicht zu erhöhten Investitionen, die Investitionsquote sank sogar.